Kürzlich, auf dem  dem Essener Weihnachtsmarkt,  am Glühweinstand wartend. Von rechts dringt ein unfreundliches Blaffen an mein Ohr:

„Hier nur Rückjabe, Mann, det steht doch gross da dran“.

Beides, der Dialekt und der Tonfall, lässt unbedingt auf die Anwesenheit eines Berliners schliessen. Ich muss grinsen. Man sagt uns ja grosse Schnauze mit weichem Herzen nach. Das mit der grossen Klappe trifft auf alle Fälle häufig zu. Als ich meinen Glühwein ausgetrunken habe und mein Glas zurückgebe, berlinere ich demonstrativ „det du nich von hier bist, is ja ooch nich zu überhören, wa?“ Der Glühweinglaspfanderstatter meint „neeeeee“ – mit extra langem e, so als wäre allein die Annahme, er könne „von hier“ sein, eine Beleidigung. „Ick bin aus Berlin. Aus Ost-Berlin“

Kiek an

Was war passiert? Zwei Berliner begegnen sich, erkennen sich gegenseitig als Berliner.  Und einem von beiden ist es ein Bedürfnis, noch bevor ersichtlich ist, in welche Richtung sich ein etwaiges Gespräch entwickeln wird, klarzustellen, aus welchem Teil der nicht mehr geteilten Stadt er kommt. Mich irritiert das jedes Mal, ich hab’s schon so oft erlebt. Mich selbst, aus West Berlin stammend, hätte an irgendeinem Punkt einer Unterhaltung sicher auch interessiert, aus welchem Bezirk meiner Heimatstadt mein Gesprächspartner kommt. Einfach, weil es interessant ist. Berlin ist so unterschiedlich je nach Bezirk.

Aber ob dieser Bezirk im Ost- oder Westteil liegt, wäre mir dabei ziemlich egal. Als der Berliner vom Glühweinstand mir ungefragt seine Herkunft aus dem Ostteil Berlins mitteilte, hätte ich am liebsten gefragt: „Okay, und wo ist der Bus mit den Leuten, die das wissen wollen?“

Statt dessen verrate ich ihm höflich, meinerseits aus dem Westen zu sein und frage, ob das irgendeinen Unterschied mache. Der Ost-Berliner (aus Prenzlauer Berg, wie er übrigens noch spezifziert, vielen Dank, jetzt weiss ich es ganz genau), behauptet, die Leute würden auf Ost Berliner irgendwie komisch reagieren. Aha. Ich frage mich insgeheim, ob er also mit der Info „ick bin aus’m Osten, meine Reaktion testen wollte. Aber vielleicht wollte er auch nur die  Frage vorab beantworten, die er wahrscheinlich häufig hört, wenn er sich als Berliner outet: „Ost oder West“.

In einem anderen Rahmen hätte ich dieses merkwürdige Gespräch vielleicht vertieft. Aber hinter mir warten andere Kunden ungeduldig darauf, ihre Tasse zurück geben zu dürfen. So wünsche ich nur „schönen Tach noch“, und gehe meiner Wege.

Während ich weiter schlendere, wandern meine Gedanken in das Jahr 1991,die Zeit direkt nach der Wende. 

Mein Vater hatte damals zwei Kopierläden in Berlin (West), und nach Maueröffnung witterte er das grosse Geschäft. Er nahm Kontakt zu einer Ost-Berliner Kette von Schuhmacher-Läden auf, die gerade abgewickelt wurde, übernahm einige der Ladengeschäfte teilweise samt Personal und eröffnete neue Copy Shop Filialen.  Mit einer der Mitarbeiterinnen, die er übernommen hatte, verstand ich mich gut. Sie hiess ebenfalls Bettina. Wir freundeten uns so an, dass wir beschlossen, unsere Geburtstage – ihren 19., meinen 24. – zusammen zu feiern.

Bettina organisierte die Location, ein ehemaliges Vereinscafé im Ost-Berliner Bezirk Lichtenberg. Wir verteilten die Aufgaben, ich verbrachte einen Abend und eine Nacht damit, Musik zusammen zu stellen und aufzunehmen (auf Musikkassetten, oh ja). Wir luden unsere Gäste ein, ich freute mich auf eine Party, und darauf, ne Menge neuer Leute kennenzulernen.

Ich rechnete nicht damit, dass es ein  Problem geben könnte, ein paar junge Menschen zum Feiern zusammen zu bringen, die zur Hälfte aus’m Osten und zur anderen aus’m Westen kamen.

Aber es war so. Wen immer ich (oder einer meiner Gäste) ansprachen, es war ein Krampf. Sie tauten uns gegenüber einfach nicht auf. Sie schienen misstrauisch, verstanden unsere Scherze nicht (naja, oder fanden sie jedenfalls nicht komisch).

Eine meiner Freundinnen war damals mit einem Afrikaner zusammen, er hiess Kwadwo. Kwadwo, aus Ghana stammend, hatte die deutsche Staatsangehörigkeit und wenn ihn jemand fragte, wo er her kam, antwortete er daher meistens, er sei Deutscher. Dann wurde natürlich weiter gefragt.

Kwadwo hatte dann die Angewohnheit, als nächstes mit todernstem Gesichtsaudruck zu sagen „Ich bin aus Schlesien“. Um dann oft noch einen drauf zu setzen „aus Oberschlesien“

Spätestens an der Stelle war immer das Eis gebrochen. Nicht aber auf dieser Ost-West-Party. Bzw reagierten meine Gäste eigentlich alle so wie wir das kannten – mit einem verdutzten Gesicht und dann einem sehr herzlichen Lachen. Aber Bettinas Gäste guckten nur irritiert und fühlten sich veralbert. Was Kwadwo betrifft, der hielt sich den Rest des Abends an die Leute, die er kannte.

Auch ich machte mich irgendwann unbeliebt. Jemand legte eine Platte von Frank Schöbel auf. Nach zwei oder drei Liedern wagte ich, zu vermelden, dass ich das schrecklich finde, ob man wohl wieder etwas anderes spielen könne. Dazu muss man wissen, dass ich keine Ahnung hatte, was da lief, ich kannte Frank Schöbel damals gar nicht. Es war Schlagermusik, und ich hasse nunmal Schlagermusik. Mehr war nicht dahinter. Aber Bettinas Freunde sahen das anders. Ich erfuhr später, dass sie mich für eine – Zitat – arrogante Wessi Braut hielten, weil ich mich so despektierlich über den ostdeutschen Künstler Frank Schöbel geäussert hatte. Ich kann das bis heute nicht verstehen. Hätte jemand Heino aufgelegt, wäre meine Reaktion keine andere gewesen.

Bettina und ich waren überrascht, dass es so ablief. Wir beide verstanden uns doch auch, wo war das Problem? Ich hatte wirklich Mühe, nachzuvollziehen, dass die Schwierigkeit tatsächlich in der Herkunft aus zweierlei Deutschland lag.

Das war, wie gesagt, direkt nach der Wende. Wir waren wirklich damals Menschen aus verschiedenen Welten, so merkwürdig das auch ist.

Aber inzwischen sind wir  eine komplette Generation weiter. Haben wir dieses Ost / West Ding immer noch nicht abgelegt?

Ich bin übrigens aus dem West-Berliner Bezirk Neukölln. Wenn mich das nächste Mal einer fragt, aus welchem Teil Berlins ich komme, werde ich mich einfach daran erinnern, wo Neukölln liegt und antworten: aus dem Süden.

 

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