Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, nutze ich oft die Gelegenheit, und setze bekloppte Ideen in die Tat um.
So geschehen vor einiger Zeit, als ich beschloß, nach Nijmegen zu einem Konzert zu fahren.
Jos Tochter war gerade bei Rock am Ring gewesen. Die Hälfte des Festivals war aufgrund der schweren Unwetter ausgefallen, und der Rest aus demselben Grund auch recht ungemütlich. Trotzdem erzählte die Tochter so begeistert von dem Event, dass meinereiner total Bock bekam, auch mal wieder konzerten zu gehen. Zumal eine Band, die ich schon lange mal live erleben wollte, gerade in Europa tourte.
Nun bin ich ja ne Berliner Pflanze, und als solche extrem verwöhnt, was Konzerte betrifft, will heißen, ich mußte nie weit reisen, um zu sehen, wen ich sehen wollte.
Nach Essen kommt keene Sau. Nach Düsseldorf schon mal, eher noch nach Köln. Okay, das ist nicht aus der Welt, aber es muß mich faule alte Frau schon sehr reizen, was da spielt, damit ich mir die Mühe mache.
Oft verbinde ich einen Berlin Besuch mit einem Konzert, wenn es sich ergibt. Die erwähnte Band, es handelt sich übrigens um Shinedown, spielte auf ihrer Tour zwar in Berlin, aber das paßte leider terminlich nicht.
In dieser schlaflosen Nacht nach dem begeisterten Bericht der Tochter nun fiel mir ein, dass Essen nicht weit von der holländischen Grenze liegt. Wäre es nicht mitten in der Nacht gewesen, wäre ich nie auf die Idee gekommen, Tourdaten in den Niederlanden zu checken. Sowas fällt mir entweder nachts ein oder auch mal unter dem Einfluss von Alkohol.
Es gab ein Konzert in Nijmegen. Ich prüfte die Bahnverbindung nach dort, sie war akzeptabel. Nach kurzer Überlegung, ob ich noch nachts wieder zurück nach Essen fahren soll, beschloss ich, doch lieber in Nijmegen zu übernachten. Ich fand ein bezahlbares Bed and Breakfast, also wurde dieses reserviert.
Bei Tageslicht kommen mir meine nächtlichen Ideen schon mal blöd vor, weshalb diese oft wieder verworfen werden. Diesmal fand ich meine Idee auch am Tage noch gut, also erstand ich das Wichtigste zu guter Letzt auch noch, nämlich das Konzert Ticket. Die Location in Nijmegen, wo die Band auftrat, hieß Doornrosje, schöner Name für eine Lokalität der extra lauten Musik und extra harten Jungs (und Mädels). Das Doornrosje hatte eine Ticketagentur auf seiner Internetseite verlinkt mit der Möglichkeit, sich für einen Euro fuffzich (glaub ich, irgendwie in dem Dreh) Gebühren sein Ticket nach Kauf selbst auszudrucken. Ich war begeistert. Keine horrenden Zusatzkosten und bequemer kann man ja wohl kaum zu seinem Ticket kommen.
Am Tag des Konzertes trat ich am Nachmittag meine Reise an. Umsteigen in Viersen mit vier Minuten Umsteigezeit. Die Verbindung war ein Vorschlag von bahn.de, ja nee is klar. Aber wie durch ein Wunder erreichte ich in Viersen den Zug nach Venlo, obwohl ich in Essen – natürlich – mit Verspätung los gefahren war. In Venlo galt es, ein weiteres Mal umzusteigen.
Leider kam ich nicht bis Venlo. Der Zug fuhr nur bis Kaldenkirchen, was der Grund dafür war, habe ich vergessen. Hier stand ein (EIN!) Bus für die Weiterfahrt nach Venlo zur Verfügung. Mir war einigermaßen schleierhaft, wie all die Menschen aus dem Zug mitsamt ihres nicht unerheblichen Gepäcks in diesen einen Bus passen sollten. Aber im Grunde war es mir egal, ich selbst paßte hinein, und nicht nur das, ich erwischte sogar einen Sitzplatz.
Gimme five, baby!
Mein Zug nach Nijmegen war selbstverständlich weg. Na gut, der nächste fuhr eine halbe Stunde später.
In Nijmegen angekommen, kam ich sowas von in den Regen, gegen den war mein Schirm total machtlos. In unter 30 Sekunden erreichte ich eine Imbissbude, wo ich mich auswringen konnte und mit ner Portion Pommes Majo stärkte, wo ich schon mal hier war. Alles war gut, zumal ich hier auch gleich fragen konnte, wie ich zu meinem Bed and Breakfast komme. Ich hatte mir natürlich die Wegbeschreibung von Google Maps ausgedruckt. War aber bereits bei Verlassen des Bahnhofs schon nicht mehr damit klar gekommen.
Falls du meinen Beitrag Spaghetti in der Speicherstadt gelesen hast, dürftest du an dieser Stelle ein deja vu haben. (Und du, Jo, hör auf zu lachen)
Die nette Holländerin aus der Imbissbude erklärte mir den Weg, und zuversichtlich machte ich mich auf. Es konnte ja nicht so schwer sein.
Nun, während ich versuchte, mich zu orientieren, zwang sich mir der Gedanke auf, dass U2 vielleicht auch mal in Nijmegen waren (vielleicht hatten sie einen Gig im Doornrosje), und ihnen hier die Idee zu ihrem Hit where the streets have no name gekommen ist.
Irgendwann fand ich die Straße, in die ich mußte. Hier suchte ich noch eine Weile nach dem Haus, denn Hausnummern gibt es in Nijmegen anscheinend auch nicht, was ja im Grunde nur konsequent ist.
Immer noch war alles gut, was aber in nicht unerheblichem Maße der Tatsache zuzuschreiben war, dass ich an jenem Tag richtig gut zu Fuß war.
Das mußte ich auch sein, denn als ich die Haustür zu meiner Unterkunft öffnete, stand ich vor der steilsten Wendeltreppe, die ich – selbst in holländischen Häusern – jemals gesehen hatte. Ich stellte mir erst gar nicht vor, wie man da mit Gepäck hoch kommen sollte, ich hatte ja zum Glück keins. Allerdings strich ich direkt Alkohol von der Liste der Abendvergnügungen. Diese Treppe war nur nüchtern zu bewältigen.
Selbstverständlich lag mein Zimmer im zwoten Stockwerk – von zwo vorhandenen. Oben angekommen, war ich zunächst über folgende Details, das Zimmer betreffend, erleichtert: Zum einen war es sauber. Zum zweiten lagen zwei Handtücher bereit, und es gab einen Seifenspender am Waschbecken. Zudem verfügte das kleine Zimmer über schätzungsweise zehn Steckdosen. Die Nasszelle auf dem Flur war ebenfalls sauber, alles funktionierte, und auch hier gab es einen Spender mit Duschgel.
Wer schon mal in holländischen Hotels gewohnt hat, der weiss, warum mir all dies eine Erwähmumg wert ist.
Der kleine Fernseher funktionierte ebenfalls einwandfrei, so dass ich zur Entspannung noch ein bisschen Fussball schauen konnte, es war ja gerade EM.
Ich merke gerade, ich verliere mich hier in Begeisterungsbekundungen über mein B&B, aber im Ernst, ich war so froh, ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet.
Ausgeruht und bester Laune machte ich mich schliesslich an den Abstieg, um mein Konzert zu besuchen.
Ich fand das Doornrosje auf Anhieb – na gut, fast, machen wir uns nichts vor. An der Ecke, an der ich laut Google Maps links musste, fragte ich vorsichtshalber zwei junge Mädels, ob ich richtig sei. Sie mussten zufällig in dieselbe Richtung und so ergab sich hier eine nette Unterhaltung mit zwei Eingeborenen 😉
Was mir beim Einlass in die Halle gleich auffiel, waren drei Rollstuhlfahrer mit unterschiedlich starker Beeinträchtigung, die das Konzert besuchten. Eine Frau, die ihren Rolli selbstständig bewegte, dann ein Mann, der in seinem Stuhl angeschnallt war, bis hin zu einem Mann, der im Liegerollstuhl samt Beatmungsgerät kam. Ich dachte, wow, das muss mega anstrengend sein, was für ein Aufwand, nur um eine Band zu sehen / hören.
Aber wie gut, dass er es tun kann.
Die Band wird ihn nicht enttäuscht haben, also ich war jedenfalls begeistert.
Nach dem Konzert noch irgendwo einzukehren, war nicht im Programm, ich bin nicht der Typ, der allein in eine Kneipe geht. Es sei denn ich trinke mir vorher Mut an, aber ich musste ja nüchtern bleiben, um den Aufstieg zu meinem Zimmer zu schaffen. Ausserdem hatte man mich bei der Taschenkontrolle meines Vorrates an Kopfschmerztabletten beraubt. Der Ordner guckte mich sehr irritiert an, als er sah, was ich alles dabei hatte. Er liess mir zwei Aspirin und kassierte den Rest ein. Da ich nicht wusste, wo von meinem B&B aus die nächste Apotheke war, konnte ich nicht wagen, Alkohol zu konsumieren. Im Ernst, ich vertrage nichts, die Strafe folgt unweigerlich am Folgetag in Form von heftigen Kopfschmerzen, die dann sofort mit Drogen bekämpft werden müssen, wenn sie nicht den ganzen Tag andauern sollen.
Also ging ich ohne Umwege in meine Unterkunft. Übrigens auch ohne noch mal nach dem Weg fragen zu müssen, worauf ich ziemlich stolz bin. Ich meine hey, erstens war es jetzt stockdunkel und der Rückweg ist immer ein komplett neuer Weg, oder etwa nicht.
Ich schlief gut, frühstückte am nächsten Tag gut und freute mich, weil die Sonne schien. Wenn ich genauso gut zu Fuss gewesen wäre wie am Tag zuvor, hätte ich mich sicher zum krönenden Abschluss noch auf einen Bummel durch Nijmegen begeben. Aber meine Batterie war leider leer und so trat ich den Weg zurück nach Hause an.
Mein Fazit: Sowas kann man mal machen. 🙂 Besonders, wenn und so lange es eben möglich ist und die Kräfte es erlauben. Aber gut zu wissen, dass – zumindest was das Doornrosje in Nijmegen betrifft – solche Unternehmungen auch noch möglich sind, wenn man doch irgendwann auf den Rollstuhl angewiesen sein sollte. Nur mein hübsches B&B wäre dann unerreichbar 😉