Sie gilt als härteste deutsche Gangsterserie. Der Sechsteiler „4 Blocks“ zeigt die Auseinandersetzungen innerhalb eines arabischen Clans in Berlin-Neukölln beinahe dokumentarisch-realistisch
(Quelle: http://www.tagessspiegel.de hier geht es zum entsprechenden Artikel)
Vor einigen Wochen stiess ich auf die Ankündigung der Ausstrahlung einer, wie es hiess, klischeefreien Serie über die kriminelle Unterwelt des Berliner Problem-Bezirks Neukölln. Der Sechsteiler war bei der Erstausstrahlung im Pay TV Sender TNT ein Überraschungserfolg. So durfte er dann auch ins Free TV, genauer gesagt, lief er bei ZDF Neo.
Ich bin kein Fan von Gangsterserien, aber die da machte mich neugierig. Weil sie da spielt, wo ich meine Kindheit und Jugend verbracht habe.
In Berlin-Neukölln.
In meiner Jugend war Neukölln noch ein ganz harmloser Arbeiterbezirk, die in der Serie dargestellten arabischen Clans gab es damals noch nicht. Ich hatte in der Grundschule zwei türkische Mitschüler, später auf der Oberschule waren es auch nicht mehr. Heute machen an meiner ehemaligen Schule sehr viel mehr Türken, Araber, Vietnamesen, Inder etc ihr Abitur als zu meiner Zeit, das ist gut! Allerdings lässt sich natürlich nicht leugnen, dass die Kriminalität zugenommen hat, und dass die erwähnten arabischen Clans die Geschäfte in der Hand haben, stimmt leider auch.
Ich bin oder war trotz meines Neuköllner Hintergrundes nicht eingebunden in die Verhältnisse innerhalb arabischer Grossfamilien, sprich, keines ihrer Mitglieder gehörte zu meinem engeren Freundeskreis. Natürlich kannte ich viele Araber, mit den meisten kam ich gut aus, und wenn nicht, ging man sich aus dem Weg. Ich kann mir deshalb wahrscheinlich nicht unbedingt ein fundiertes Urteil erlauben, wie realistisch „4 Blocks“ die inneren Verhältnisse zeichnet. Genauer gesagt, bin ich als Neuköllnerin genauso geprägt von diversen gängigen Klischees und Vorurteilen wie alle anderen Menschen auch.
Umso neugieriger war ich aber zu sehen, ob es der Serie tatsächlich gelingen konnte, auf die bekannten, zum Teil romantischen, Klischees und Vorurteile zu verzichten, sind genau sie es doch, die einer (Krimi/Action/Gangster) Serie erst den richtigen Kick geben.
Sollte „4 Blocks“ wirklich ohne den schweigsamen Patriarchen a la „der Pate“ auskommen? Wird es hier keine herzzerreissende Liebesgeschichte zwischen Mädchen aus Clan 1 und Junge aus Clan 2 oder Junge aus Clan und deutschem Mädchen (oder umgekehrt) im Stil von Romeo und Julia geben?
Ich kann es vorweg nehmen: Nein, dies gelingt nicht. Tatsächlich bedient „4 Blocks“ so ziemlich jedes Klischee, das wir uns vorstellen können. Und doch: In Klischees sind ja auch Wahrheiten – oder zumindest Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten, enthalten.
Wir haben hier einen Clanchef namens Ali (Tony) Hamady. Dass er sich Tony nennt, mutet schon als das erste Klischee an, aber solche Spitznamen sind tatsächlich nicht ungewöhnlich in der Szene. Tony will ehrbar werden. Ach, wirklich? Wie will er das anstellen? Unter anderem hat er vor, ein Mietshaus zu kaufen und von den Einnahmen zu leben. Wir lernen, sofern wir es noch nicht wissen, dass er das nicht tun kann, so lange er keine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung hat, denn nur dann darf er legal Einkünfte aus einer selbstständigen Tätigkeit erzielen. Die Erteilung eben jener unbefristeten Aufenthaltgenehmigung steht kurz bevor. Seine Ehefrau, die, hat man den Eindruck, absolut gleichberechtigt mit ihm zusammen lebt, ist darüber hoch erfreut.
(Merke: Das Klischee der unterdückten arabischen Ehefrau wird hier zumindest nicht bedient, jedoch wirkt die Darstellung der Ehefrau Tonys für mich irgendwie genauso klischeehaft)
Tony hat einen jüngeren Bruder, Abbas, der insgeheim der Meinung ist, er wäre der bessere Clanführer, sowie eine jüngere Schwester, Amara, deren Mann Latif in der ersten Folge der Serie in den Knast wandert, weil in seinem Auto Drogen gefunden werden.
Ebenfalls in der ersten Folge taucht ein alter Freund von Tony auf, ein Deutscher namens Vince, er ist mit den Hamadys aufgewachsen und war früher der grosse Schwarm der schon erwähnten jüngeren Schwester. Die beiden treffen sich wieder und es fängt ein bisschen an zu knistern bis hin zu gemeinsamen Fluchtplänen in der letzten Folge.
War ja klar
Zunächst wird Vince in die Hamadyschen Drogengeschäfte eingebunden, man kann ihn gut gebrauchen, er ist geschickt mit den Fäusten.
Es stellt sich aber schnell heraus, dass Vince für die Polizei arbeitet.
Was finden wir hier noch so: Eine äusserst brutale Rockergruppe, mit der sich die Hamadys um ihre Geschäftsterritorien streiten, korrupte Polizisten, goldene Boxershorts (Abbas trägt sie, an der Stelle habe ich herzlich gelacht), und – nicht zuletzt – den geheimnisvollen Patriarchen. Es handelt sich um Onkel Hakeem, der von seinem idyllischen Seegrundstück aus die Geschicke der Familie lenkt.
Äh, bitte wie?
Aber wer weiss, womöglich läuft das so.
Es gibt auch noch eine hübsche Nebenhandlung, in der wir erfahren, wie hoffnungslos es ist, sich einzubilden, man könne aus dem Teufelskreis von Kriminalität so einfach ausbrechen, nur weil man ein netter Kerl ist: Zwei junge Clanmitglieder um die sechzehn, die sich quasi noch spielerisch mit der Materie beschäftigen (sich als Kleindealer betätigen beispielsweise), und so hineinwachsen in was ihnen bestimmt ist. Der eine verliebt sich in ein deutsches Mädchen, beschafft ihr Drogen und schenkt ihr einen kleinen Hund, den sie dann nicht will, überhaupt will sie ihn, den Jungen, sowieso nicht wirklich. Immerhin, da hätte man ja auch eine rührselige Story draus stricken können, das ist zum Glück nicht geschehen. Der andere der beiden wird von Tony dazu verdonnert, ein falsches Geständnis abzulegen, damit der im Knast sitzende Schwager Latif frei kommen kann.
So läuft das in der Familie.
Finde ich übrigens nachvollziehbar bzw glaubhaft.
Nachvollziehbar ist es für mich durchaus auch, dass den teilweise seit Jahren und Jahrzehnten in Deutschland lebenden Familien nichts anderes übrig bleibt, als kriminell zu werden, wenn sie, wie es bei den Hamadys der Fall ist, allesamt nicht arbeiten dürfen – was aber noch lange nicht heisst, dass sie es nicht täten, also kriminell werden, wenn sie es dürften, also arbeiten. Ich meine, die Mafiosi in Italien z.B. dürfen ja wohl – also arbeiten. Sie sind aber trotzdem Drogenhändler oder Schutzgelderpresser.
Dennoch hat mich die Szene, in der Tony Vince überredet, als Strohmann das Mietshaus für ihn zu erwerben, weil sich das mit der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erstmal zerschlagen hat, ein bisschen nachdenklich gemacht.
Aber man bekommt zum Glück nur beinahe Mitleid mit Tony und empfindet auch nur beinahe Sympathie für ihn. Hier gelingt meiner Meinung nach der Spagat zwischen romantischen Klischees der Spannung zuliebe und einer glaubhaften Darstellung dessen, was in Neukölln passiert.
Im Serienfinale hingegen wird wieder hemmungslos in die Klischeekiste gegriffen.
Allerdings: Ein Happy End gibt es nicht. Für niemanden.
Wer neugierig geworden ist, hier ein paar Links. Für die Richtigkeit der dort enthaltenen Informationen kann ich natürlich nicht garantieren
Artikel Deutschlandfunk zum Thema Arabische Clans in Berlin
Neukölln-Seite des Tagesspiegel